Georg Imdahl
Seit langer Zeit geht Susanne Ristow in einer ästhetischen Recherche ihrer Leidenschaft für den männlichen Körper nach. Was die Künstlerin nun unter dem Titel „Das Adonis Depot“ als raumgreifendes Werk inszeniert, ist Resultat und Essenz einer obsessiven Befragung der Schönheit des männlichen Körpers, seiner Fragilität, seiner Libido und seiner Potenz.
Ristows Recherchen wurden beflügelt durch einen längeren Italienaufenthalt Ende der 90er Jahre. Die Künstlerin sammelte damals Christus-Darstellungen, mit Vorliebe Grablegungen der Renaissance. Ihr besonderes Interesse galt einem Aspekt, der in der Kunstgeschichte marginalisiert wird, nämlich der latent erotischen Qualität des leidenden Christuskörpers. Aus der fruuml;hen Auseinandersetzung entstand ihr erster Zeichentrickfilm, „displaced body“, der als Bestandteil in das „Adonis Depot“ einging.
Naturgemäß stellt eine solch buchstäbliche Männersammlung im Laufe der Jahre ein Werk dar, das von Veränderung und Zuwachs geprägt ist. Die erste öffentliche Version als gegenwärtiger und umfassender Bericht zur Lage des Mannes war im Spätsommer 2008 für eine Nacht zu sehen. Diese Fassung als OneNightStand im Neusser Hafen bestand aus drei Segmenten. Am Eingang begegnete der Besucher zunächst einem aufgesockelten, brodelnden Wasserbad. Von dem Herd mit Kupfertopf und erwärmter Emulsion von Wachs, Farbe und Ölen strömten intensive Aromen aus. Das alchemistisch angehauchte Vorspiel versorgte jeden mehr oder minder bewusst mit einer nebligen Vergänglichkeitsmetapher. Die gleichermaßen offene wie unzugängliche Regalkonstruktion in der Mitte des Raumes bildet das zentrale Stück eines Ensembles, das rückwärtig einen Zugang erlaubte. Dahinter lenkte eine Stehlampe den Blick auf ein drittes Segment der Ausstellung: In der Ecke lag ein Foliant, der ursprünglich Michelangelos Neuer Sakristei in San Lorenzo zu Florenz gewidmet war, der berühmten Medici-Kapelle. Ristow hatte dieses antiquarische Buch in den letzten sechs Jahren appropriiert und die einzelnen Seiten mit eigenen und gefundenen Darstellungen von Grablegungen überarbeitet. Beim Blättern stieß man auf einschlägige Werke Mantegnas, El Grecos, Rubens und traf auf einen wegweisenden Adonis Riberas. Das Buch als Depot im Depot offenbarte aber auch ganz andere Bezugsquellen der Künstlerin als die Depositionen: Sujets wie betörende Lendentücher, die schon in der Typologie erahnen ließen, was als intime Qualität eigentlich verborgen bleiben soll. Hinzugetreten waren mit den Jahren alle erdenklichen Bild-Refugien heutiger Zeit, als da wären Werbung, Magazinfotografie und Film, zum Beispiel eine „Cool-Water“-Reklame mit entspannt-passivem Körper, des weiteren Bildbände homoerotischen Begehrens, zudem Sport-Fotografien aus der Tageszeitung mit gefoulten, am Boden sich windenden Fußballspielern.
Ristow zeichnet die gefundenen Figuren, bereinigt die Bildvorlagen von ihrem jeweiligen Ambiente und ihrer spezifischen Situation und legt den Körper nach ihrem Gusto aus, um nicht zu sagen: sie zieht ihn aus, entstellt die Foto-Vorlage bis zu deren eigentlicher Kenntlichkeit. Was sich auf der Seite des Betrachters im Schmerz des am Boden liegenden Fußballspielers zu erkennen gibt, enthüllt sich in Ristows Zeichnungen, auf einer höheren Sinnebene, einerseits als Leidensmetapher, andererseits als gängiges maskulines Rollenmuster und selbstverständlich auch als Pose libidinösen Ausdrucks. So führt auf den vielen Routen zu den Bildquellen am Ende der gefoulte Fußballspieler den Weg zur Grablegung zurück. Ristow geht mit solchen Ikonen wie ein klassischer Künstler mit dem antiken Mythos um. Sie eignet sich Bilder als Zeugnisse und Belege der westlichen Kultur an, befreit sie gleichzeitig aus ihrem narrativem Zusammenhang und schöpft einen neuen Wert als ihre ureigenste Systematik. Was bei dem Buch noch als intimer Dialog angelegt war, wuchs sich im Adonis Depot““ zu einer Vorführung, einer Ausstellung mit performativen Zügen aus, die jetzt nun auch sämtliches inner- und außerbildliches Personal der rituellen Situation Vernissage in Bezug setzte.
Das Ensemble türblattgroßer Bilder auf Holztafeln, gestapelt in einem über mannshohen Regalsystem, wurde von einem Türsteher bewacht, der nur wenigen Besuchern gleichzeitig den Zugang zum Depot gestattet. Das erotische Kabinett changierte zwischen zwei Polen, die so zu beschreiben wären: Wann immer wir das Depot als ein etwas plüschiges Bettenlager wahrzunehmen begannen, wir den gelinden Kitsch von Flokati und Fließwatte auf uns wirken ließen mitsamt ihrer dezenten Schmuddelatmosphäre – so holten die Bilder dieses Kabinetts wieder in eine Welt echt und tief empfundenen Begehrens zurück. Handelte es sich doch um eine Hommage an den (gefährdeten) maskulinen Eros, die sich heute in der Kunst nur mehr selten findet. Eine Hostess, die gewissermaßen als Vermittlungsassistentin um die Präsentation einzelner Platten gebeten wurde, legte die Bildkörper vor und entzog sie wieder. Diese Exposition einzelner Bilder blieb auf zwei bis drei pro auftretenden Besucher limitiert. Zeigen und gleichzeitiges Verbergen enthüllte sich als Spiel, das für ein gewisses Knistern im zwischenmenschlichen Bereich sorgte. Jedem Übermaß aber erteilte das „Adonis Depot“ eine Absage.
Nüchtern konnte man das „Adonis Depot“ auch als graphisches Kabinett ansehen, in dem uns einzelnen Blätter auf Wunsch vorgelegt wurden. Sodann führten uns die seltsamen Helden von Christus bis zu den Werbeträgern und Schauspielern in die Welt der Fiktion. Besonders nachhaltig war dieser Erfolg solchen Figuren beschieden, die sich selbst, in ihrem realen Dasein, komfortabel zwischen Sein und Schein eingerichtet haben – wie die Fußball-Ikone David Beckham, die unter der Hand der Künstlerin auch als Inkarnation von David Bowie erscheinen konnte.
Susanne Ristow möchte Begriff und Erscheinung des Maskulinen, wie sie heute in der Reklame, dem Kino, in der Öffentlichkeit propagiert und vermarktet werden, nicht allein dem Klischee überlassen, auch nicht dem homoerotischen Klischee. Sie kann es aber andererseits auch nicht gänzlich diesem Klischee entreißen, und sie ist sich eben dieser Tatsache nur allzu bewusst. Mit dem Klischee gegen dieses selbst zu arbeiten und so zu seiner eigentlichen Wahrheit vorzustoßen: So ließe sich die Strategie des „Adonis Depots“ beschreiben.